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04.12.2024

Erster Einblick in meinen zweiten Roman “Das Spiel zwischen Licht und Schatten” - lies jetzt das erste Kapitel!

Geheimes Gestapo-Gefängnis außerhalb von Hamburg,
Deutsches Reich
3. Mai 1945

Die metallene Tür war schalldicht und erst als sie aufschwang, drang Licht in die dunkle, fensterlose Zelle. Wenn sie genauso geschnitten war wie die anderen, würde sie kaum zwei mal drei Meter messen.
 Eine grausame Stille lag über dem Kellerkomplex. Die britischen Soldaten hielten respektvoll den Blick gesenkt, während sie die Leichen, die die Nationalsozialisten nicht mehr hatten wegschaffen können, hinaustrugen. Gleichzeitig wurden Zellen durchsucht, bei denen noch Hoffnung bestand, dass in ihnen Leben gefunden werden konnte.
 Langsam atmete er ein, doch die Luft hatte sich nicht verändert. Es waren immer noch dieselben Gerüche von Schweiß, Blut und Verwesung. Sie alle wussten, dass sie diesen Geruch und auch das, was sie heute und die letzten Monate gesehen hatten, nicht mehr vergessen würden. Umso mehr hegte er die Hoffnung, dass sie wenigstens ein Leben retten können würden. Er blieb stehen und gab den Soldaten ein paar Sekunden. Auch er trug eine Waffe und war Soldat, aber er war als Sanitäter hier – um Leben zu retten.
 »Sani?« Der Tonfall des Unteroffiziers klang fragend, anders als die drei Male zuvor, bei denen sie die Zellentüren geöffnet hatten.
 Mit zusammengekniffenen Augen trat er in die Zelle und kniete sich hin. »Ich brauche mehr Licht.« Seine Stimme war angespannt. Nur der unmittelbare Lichtkegel der Taschenlampen ließ ihn erkennen, was er vor sich hatte. Im Türrahmen positionierten sich weitere Soldaten, die nicht mehr in die kleine Zelle passten, mit Lampen.
 »Ist sie am Leben?«
 Sie. Das war das Erste, das er gesehen hatte: Dass er eine Frau vor sich hatte. Sie war fast nackt. Nur ein dünnes Hemd bedeckte ihren mageren Körper. Ihr Kopf war zur Seite gedreht und sie lag reglos und ohne Anspannung da. Er tastete nach ihrem Puls am Handgelenk und hoffte, dass sie kämpfte. Seine Fingerspitzen fuhren über Dreckkörnchen und getrocknetes Blut, das beides an ihrer glühenden Haut klebte. Er drückte fester zu.
 Alle hielten die Luft an und warteten auf ihn. Auf sein Urteil.
 Er streckte den Arm aus und tastete nach ihrer Hauptschlagader am Hals. Während er sich darauf konzentrierte, etwas zu spüren, hörte er seinen eigenen Herzschlag in seinen Ohren pulsieren. »Sie ist am Leben.«
 Ein kollektives Ausatmen hallte von den Wänden wider. Es war die Erleichterung der Soldaten, die mit dieser Nachricht noch ein Lichtfünkchen in dieser dunklen Welt sahen. Doch er wusste, dass die Frau an der Schwelle des Todes stand und es jetzt an ihm war, sie zurück ins Leben zu bringen.
 »Ich brauche mehr Platz. Wir müssen sie hier rausbringen.« Er streifte seine Jacke ab und legte sie über den Körper der Frau. Ein Soldat trat neben ihn, um ihm sein Gewehr, das er auf den Rücken geschnallt trug, abzunehmen, als sein Kopf plötzlich hochfuhr. Vorsichtig tastete er unter sich. Glasscherben. Sie waren so klein, dass man sie kaum noch hörte, wenn man auf sie trat. Erst jetzt hatte er sie durch die Schritte neben sich wahrgenommen und spürte nun auch, dass sie sich auf Höhe des Knies durch sein Hosenbein bohrten.
 Wieder streckte er den Arm aus und der Lichtkegel einer Taschenlampe folgte seiner Bewegung. Er strich der Frau die Haare aus dem Gesicht und sah dann, wo das ganze Blut, das an ihr klebte, herkam. Schnittwunden auf ihrer Stirn, der Nase, um die Augen herum – und auch ihre Augen selbst waren betroffen. Die Glaspartikel, die immer noch in den Wunden klebten, glänzten im Licht.
 »Ich bringe dich hier raus«, flüsterte er und nahm sie vorsichtig auf seine Arme, während er den Tränen nah war. »Ich bringe dich in Sicherheit.«
 Er machte nicht im Gang vor den Zellen Halt. Er ging den Weg durchs Haus zurück, den sie gekommen waren, und trat dann hinaus an die frische Luft und ins Licht der Tagessonne.

Admin - 08:23:28 @